Berufskrank durch Tonerstaub? Das Landessozialgericht Darmstadt hat die Klage eines Betroffenen kürzlich zurückgewiesen. Damit bestätigten die Richter einen juristischen Trend – und indirekt auch die Kritik am undurchsichtigen „Schattenreich der Arbeitsmedizin“. Grundsätzlich geht es auch beim Thema "Tonerstaub" um die Frage: Ab wann wird die Forderung nach einem wissenschaftlichen Beweis zum Alibi, Risiken nicht offiziell anzuerkennen?
Ein heute 63-jähriger Mann aus dem Landkreis Hersfeld-Rotenburg war knapp vier Jahre lang als Vervielfältiger in einem Kopierraum tätig. Täglich hatte er Kopier- und Druckaufträge im Umfang von 5.000 bis 10.000 Blatt in einem nur 30 Quadratmeter großen Raum ausgeführt. Infolge zunehmender Atemwegsbeschwerden beantragte er 2005 die Anerkennung einer Berufskrankheit. Weil die Unfallversicherung diesen Antrag ablehnte, klagte er vor dem Sozialgericht Fulda – und bekam 2009 Recht. Zehn Jahre später kassierte das Landesozialgericht Darmstadt dieses Urteil wieder.
Kein Beleg für einen Kausalzusammenhang
Der Kausalzusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Atemwegserkrankung könne nicht belegt werden, begründeten die Richter ihr Urteil. „Bei dem Versicherten, der bereits vor der Tätigkeit im Druckerraum an Heuschnupfen und Asthma bronchiale gelitten habe, lägen zwar eine obstruktive Atemwegserkrankung sowie eine Rhinopathie vor.“ Auch sei davon auszugehen, dass Tonerstaub allergisierende Stoffe enthalte. „Es sei aber nicht nachgewiesen, in welchem Umfang der Versicherte diesen Stoffen ausgesetzt gewesen sei.“
Darmstädter Urteil stellt ein Novum dar
Urteile wie dieses häufen sich. Es war nicht das erste Mal, dass sich Landessozialgerichte mit der Frage beschäftigten, ob Tonerstaub als Ursache für eine Berufskrankheit anzuerkennen sei. 2016 hatte das Landessozialgericht Schleswig-Holstein, 2017 das Bayerische Sozialgerichte diese Frage negativ entschieden. Nun schlossen sich die Darmstädter Richter an.
Dennoch stellt das Darmstädter Urteil unseren Recherchen zufolge ein Novum dar. Erstmalig revidierte ein Landessozialgericht das Urteil einer untergeordneten Instanz. In Schleswig-Holstein und Bayern wurden die Urteile der ersten Instanz noch bestätigt. Eine Revision wurde aufgrund des Einzelfall-Charakters nicht zugelassen.
Funkwellen, Diesel-Emissionen, Tonerstaub: Für all diese Emissionen gibt es Grenzwerte, die aus gesundheitlichen Erwägungen nicht überschritten werden sollten. Der Nachweis, ob sie im Einzelfall zu einer Berufserkrankung führen, ist allerdings sehr viel schwieriger. Schließlich spielen hier persönliche Vorbelastungen und die besonderen Umstände eine entscheidende Rolle.
Gleichwohl stellt sich die Frage, ab wann die Forderung nach einem einwandfreien, wissenschaftlichen Beweis zum zweifelhaften Alibi wird, Risiken auch nicht teilweise anzuerkennen.
Es gibt Dinge, die sind kaum nachzuvollziehen
Die Darmstädter Richter betonten zwar, dass der Zusammenhang zwischen Tonerstaub und Gesundheitsschädigung im Einzelfall gegeben sein könne. Gleichzeitig aber setzten sie aber für eine Anerkennung einen „arbeitsplatzbezogenen Inhalationstest mit dem Nachweis einer allergischen Reaktion“ voraus. Hierzu sei der Versicherte jedoch im konkreten Fall nicht bereit gewesen, so das Gericht.
Warum auch immer der Betroffene diesen Nachweis verweigerte – es gibt Dinge, die lassen sich kaum noch nachvollziehen. In diesem Fall liegt die Erkrankung 14 Jahre zurück. Der Arbeitsplatz des Betroffenen existiert heute in der früheren Form nicht mehr. Ein Nachweis, wie hoch die tatsächliche Belastung mit Tonerstaub war, ist daher unmöglich. Auch die körperliche Konstitution des Betroffenen ist heute eine ganz andere als früher.
Das Sozialgericht Fulda hatte 2009 noch eine positive „nasale Provokationstestung“ als Beweis für den kausalen Zusammenhang zwischen Tonerstaub und seiner Erkrankung akzeptiert. Zehn Jahre später revidierte das Landessozialgericht dieses Urteil – unter Berufung auf weitere, arbeitsmedizinische Sachverständigengutachten. Nach dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen sowie epidemiologischen Erkenntnisstand könne nicht davon ausgegangen werden, dass Tonerpartikel oder Laserdruckeremissionen generell geeignet seien, beim Menschen Gesundheitsschäden zu verursachen, so die Begründung.
„Die größte Hürde sind oft Arbeitsmediziner"
Dabei gibt es an arbeitsmedizinischen Gutachten inzwischen massive Kritik. Um den Zusammenhang zwischen Ursache und Berufserkrankung herzustellen, seien die Hürden so hoch, dass es in den wenigsten Fällen funktioniere, sagt Johannes Ludwig. „Die größte Hürde sind oft Arbeitsmediziner, die im Zweifelsfall jeden Zusammenhang abstreiten.“
Ludwig ist Professor für Medienbetriebswirtschaft an der HAW Hamburg. Seine umfassenden Rechercheergebnisse zum Thema „Berufserkrankungen in Deutschland“ machte er im Mai 2018 in Zusammenarbeit mit der Süddeutschen Zeitung öffentlich. Online sind seine Ausführungen zum undurchsichtigen „Schattenreich der Arbeitsmedizin“ unter www.anstageslicht.de nachzulesen. „Wir haben herausgefunden, warum viele Menschen, die durch ihre Arbeit krank werden, nur in den allerseltensten Fällen eine Entschädigung bekommen“, sagte Ludwig dem Onlinemagazin FINK.HAMBURG. Eigentlich wären diese Leistungen durch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) zu zahlen. Aber die Unternehmer hätten kein großes Interesse daran, viele Leute zu entschädigen, da das teurer für sie werde. „Sie haben stattdessen sogar ein Interesse daran, arbeitsbedingte Gesundheitsschäden in möglichst wenigen Fällen anzuerkennen“, klagte Ludwig an.
Die DGUV wies diesen Vorwurf zurück. „Richtig ist: Nicht die DGUV entscheidet über die Anerkennung einer Berufskrankheit bei einem oder einer Versicherten, sondern die jeweilige Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse“, entgegnete sie den Vorwürfen auf ihrer Homepage.
Die Diskussion dürfte weitergehen
Ein grundsätzliches Dementi klingt anders, die Diskussionen um den Wert von arbeitsmedizinischen Gutachten dürften daher bei nächster Gelegenheit eine Fortführung finden. Sollten sich die Urteile zum Thema Tonerstaub häufen, scheint es zudem nur eine Frage der Zeit zu sein, bis das erste zugunsten eines Betroffenen ausfällt.
Veröffentlicht am 08.03.2019